Die Feuernacht und ihre Folgen

In der Nacht vom 11. auf den 12. Juni jährt sich zum fünfzigsten Mal die sogenannte Feuernacht, in der in Südtirol 37 Strommasten gesprengt wurden. Sie war der Verzweiflungsschrei eines unterdrückten Volkes. Der Leidensweg der urdeutschen Südtiroler begann im Jahre 1918, als ihr Landesteil entgegen dem vom damaligen US-Präsidenten Woodrow Wilson verkündeten Selbstbestimmungsrecht der Völker an Italien abgetreten werden musste. Der 1922 an die Macht gekommene Faschismus betrieb eine brutale Assimilierungspolitik. Italienisch wurde Amtssprache, die deutsche Sprache verboten und in den Schulen nur italienisch unterrichtet. Der Name Südtirol war verboten. Die Umvolkungspolitik machte selbst vor den Toten nicht halt. Die Namen Verstorbener wurden, so wie die Lebender italienisiert.
1939 wurde der sogenannte Optionsvertrag zwischen Hitler und Mussolini geschlossen. Die Südtiroler hatten die Wahl, für Deutschland zu optieren, das hieß, ihre Heimat zu verlassen, dafür aber Deutsche bleiben zu können, oder für Italien zu stimmen, das bedeutete, ohne nationale Rechte in der Heimat bleiben zu dürfen, wobei nicht ausgeschlossen werden konnte, dass sie in altitalienische Provinzen umgesiedelt würden. Unter diesen Umständen entschieden sich 86,6 % der Südtiroler für das Deutsche Reich. Diese tragische Situation, zwischen Volk und Heimat entscheiden zu müssen, führte nicht nur zu Auseinandersetzungen in der Volksgruppe, sondern nicht selten auch zu schweren Zerwürfnissen innerhalb der Familien., Als der Frontwechsel der Italiener die Aussiedlungen beendete, hatten bereits rund 75.000 Südtiroler ihre Heimat verlassen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde zwischen dem italienischen und dem österreichischen Außenminister in Paris das nach ihnen benannte Gruber-de Gaspari- Abkommen zum Schutz der deutschen und ladinischen Bevölkerung geschlossen. Es beinhaltete u. a. die Wiedereinführung des deutschen Schulunterrichts, die Gleichstellung der deutschen mit der italienischen Sprache, den Wiedererwerb der deutschen Vor- und Familiennamen und die Gleichberechtigung bei der Stellenvergabe öffentlicher Ämter. Doch die österreichische Diplomatie wurde von der italienischen übertölpelt. Diese Autonomie bezog sich nicht nur auf Deutsch-Südtirol, also auf das Land bis zur Salurner Klause, sondern auch auf das alte Welsch-Tirol und in dieser Region „Trentino-Südtirol“ verfügten die Italiener über eine satte Mehrheit. Es gab wohl wieder deutsche Schulen, die deutsche Sprache aber führte im öffentlichen Leben ein kümmerliches Dasein, bei der Vergabe öffentlicher Stellen wurden italienische Bewerber bevorzugt und was das Schlimmste war: Die römische Regierung pumpte Süditaliener in Massen nach Südtirol, schuf ausschließlich zum Zwecke der Italienisierung die Industriezone Bozen. Hatten sich 1918 nur 7.000 Italiener, die als Straßenbauer in Südtirol geblieben waren, befunden, so stellten sie, bedingt durch die systematische Unterwanderung, Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre bereits ein Drittel der Bevölkerung. Bei Fortdauer dieser Entwicklung wäre die deutsche und ladinische Bevölkerung spätestens Mitte der siebziger Jahre in die Minderheit im eigenen Lande geraten. Damit wäre Südtirol endgültig verloren gewesen. Das waren die Gründe, dass beherzte Südtiroler, die keinen anderen Weg mehr sahen, zu Gewaltmaßnahmen griffen.
Schon vor der Herz-Jesu-Nacht hatte es vereinzelte Anschläge gegeben – so wurde, um nur ein Beispiel zu nennen, am 30. Jänner 1961das Reiterstandbild Mussolinis in Waidbruck gesprengt – und auch danach erlebte Südtirol turbulenter Zeiten. Italien versuchte durch brutale Foltermethoden- drei Häftlinge überlebten die grausamen Verhöre nicht - den Tiroler Widerstand zu ersticken, die Südtiroler reagierten mit weiteren Anschlägen, die aber nie mehr das Ausmaß der Herz-Jesu-Nacht erreichten, sowie einigen Angriffen auf italienische Militärstellen. Die österreichische Diplomatie bemühte die UNO und es sollte noch 31 Jahre dauern, bis 1992 durch die sogenannte Streitbeilegungserklärung der Konflikt offiziell beigelegt wurde. Auch wenn die Hoffnungen der Aktivisten der damaligen Ereignisse auf Rückkehr Südtirols zu Österreich, also die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes, nicht erreicht werden konnte, so ist die Autonomie zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung, ermöglicht sie doch den Deutschen und Ladinern die Erhaltung ihrer nationalen Identität. Der ethnische Proporz beteiligt die Mehrheitsbevölkerung ihrem Prozentsatz gemäß an der Verwaltung und die Südtiroler Wirtschaft floriert.
Vor allem aber ist es gelungen, die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung zu stabilisieren. Das heißt, es stehen nach wie vor zwei Drittel Deutsche – und Ladiner - einem Drittel Italiener gegenüber. Trotzdem drohen der autochthonen Bevölkerung Gefahren: So versuchen die Italiener immer wieder, die Autonomie auszuhöhlen und die Südtiroler Volkspartei (SVP), ehemals Sammelpartei der Südtiroler, hat ihren einstigen Kampfgeist verloren und lässt im Umgang mit der römischen Zentralregierung immer häufiger Ecken und Kanten vermissen. Zudem geht der internationale Trend zunehmend in Richtung Multikulti. So sollen föderalistische Gebilde nicht nach ethnischen, sondern nach territorialen Gesichtspunkten geschafften werden. Das Erreichen der Autonomie war ohne Zweifel ein wichtiger Etappensieg für Südtirol, eine Atempause, aber endgültig gesichert wird das deutsche Volkstum erst dann sein, wenn den Südtirolern die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes gewährt werden wird.