April 2003 in Bagdad:
Ich war über den Iran ins irakische Kurdengebiet eingereist und trotz Warnung meiner kurdischen Freunde per Bus nach Bagdad gefahren. Der großen Freude, die im Kurdengebiet über den Sturz Saddam Husseins herrschte, stand eine tiefe Bestürzung und Ratlosigkeit der arabischen, zumindest der Bagdader Bevölkerung gegenüber. Bei einem meiner Spazier- und Erkundigungsgängen kam ich vor einem Hotel am Ufer des Tigris mit einem Herrn ins Gespräch, der sich als Direktor dieser Nobel-Herberge vorstellte.
Nachdem ich mich als Österreicher zu erkennen gab, wechselte er sofort von Englisch auf Deutsch. „Ich habe in Deutschland studiert“, erzählte er, und zwar „ in Deutschland –West“, wie er ausdrücklich betonte. „Wir wurden mitten im Frieden von den US-Amerikanern überfallen, ohne ihnen das Geringste getan zu haben. Wir befinden uns in einem Tunnel und sehen noch kein Licht an seinem Ende.“ beantwortete er meine Frage, wie er die gegenwärtige Lage beurteile. Ähnliche Äußerungen bekam ich während meines mehrtägigen Aufenthaltes in Bagdad immer wieder zu hören. Die US-Besatzer fuhren schwerbewaffnet und provokant im Schritttempo durch die Stadt. Für Ausländer gab es keine Probleme oder Gefährdungen. In den Kaffeehäusern schwankte die Stimmung jeweils zwischen Lethargie und Empörung über den amerikanischen Überfall. Meine Hinweise, dass die US-Luftwaffe noch am 12. März 1945, als der 2. Weltkrieg schon längst entschieden war, die Wiener Oper bombardiert hatte, dürfte ihnen kaum ein Trost gewesen sein…
Frühjahr 2004
Wieder war ich in Bagdad. In den Kaffeehäusern herrschte allgemein Empörung. Die Folterungen im Gefängnis von Abu Ghraib waren im April bekannt geworden und im Mai erschienen die ersten Fotos in den Zeitungen. Vor allem aber sorgte das Fernsehen für die landesweite Verbreitung.
Die Demütigungen, die den Gefangenen angetan worden waren, - erinnert sei nur an die entwürdigende Szene, wo die US-Soldatin Lynndie England einen nackten Gefangenen wie einen Hund am Halsband geführt hatte, oder das Bild des mit Elektroschocks gefolterten Satar Jabar, an dessen beiden Händen und am Penis stromführende Drähte befestigt waren. Ihm wurde angedroht, dass er durch Elektroschocks hingerichtet würde, falls er von der Kiste falle – brachte die Volksseele zum Kochen. Widerstand gegen die Besatzer begann sich zu regen, Sprengstoffanschläge häuften sich und die US-Besatzer fuhren mit großer Geschwindigkeit durch die Straßen, begleitet von Beschimpfungen der Passanten. Lokal-Besuche während des Tages waren nach wie vor kein Problem, im Gegensatz zu 2003 fanden aber abends häufig Überfälle statt. Die staatliche Ordnung war zerschlagen, dazu kam noch, dass die irakische Armee aufgelöst worden war und die ehemaligen Soldaten schauen mussten, wie sie über die Runden kamen. Der Nährboden für terroristische Organisationen war geschaffen. In jener Zeit begann sich die von Abu az-Zarqawi gegründete Organisation zu etablieren, die später unter dem Namen ISIS und seit 29. Juni 2014 als „Islamischer Staat“ (IS) den Nahen Osten in Angst und Schrecken versetzte.
Juli 2013
Die ISIS-Kämpfer befreien etwa 500 Häftlinge aus dem Foltergefängnis von Abu Ghreib, die sich sofort der Terror-Gruppe anschließen. Vielen der Befreiten war durch die demütenden und grausamen Behandlungen ihr Stolz genommen worden, aber alle dürsteten nach Rache. Auch wenn die Folterer schon abgezogen waren, ihre Freunde und Verbündeten waren noch da.
Dezember 2014
US-Präsident Obama lässt Teile der Folterakten der CIA veröffentlichen. Die einzelnen Foltermethoden aufzuzählen würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen. Die mildeste, aber trotzdem vernichtende Kritik war in der linken Tageszeitung Der Standard zu lesen. Darin beendete Gudrun Harrer, eine Spitzenjournalistin, einen die Folter betreffenden Artikel mit folgenden Sätzen: "Die USA bleiben in den Augen vieler -nicht nur im Nahen Osten - das Land, das die von ihm gepredigten westlichen Werte nach Belieben ein- und ausschaltet. Als Alternative zu anderen, noch viel schlimmeren Unrechtssystemen, werden sie damit unglaubwürdig". Immerhin eine mutige Aussage, im linken Standard die USA als Unrechtssystem zu bezeichnen.
Der Terror des "Islamischen Staates" (IS) ist kriminell und abscheulich, vor allem die Ermordung Unschuldiger. Es darf aber nicht vergessen werden, dass die USA Schöpfer und Förderer dieser zum Ungeheuer gewordenen Organisation gewesen sind.