Aufgabe der Wehrpflicht ist Vorstufe zu NATO-Beitritt

Die Debatte um die Wehrpflicht nimmt immer groteskere Formen an. Wer gestern dafür war, ist heute dagegen, und wer gestern dagegen war ist heute dafür. Am Erstaunlichsten wohl ist der radikale Schwenk der Sozialdemokraten, die über Jahrzehnte hinweg ihr Bürgerkriegstrauma, als 1934 Dollfuss das Bundesheer auf Arbeiter schießen ließ, nicht bewältigt hatten und ihr tiefverwurzeltes Misstrauen gegenüber einer Berufsarmee immer wieder zum Ausdruck brachten. So hatte noch im vergangenen September Bundeskanzler Faymann „keine Alternative zur Wehrpflicht“ gesehen und für Norbert Darabos, den ungedienten Verteidigungsminister, war sie überhaupt „in Stein gemeißelt“.
Die Bombe platzte am 5. Oktober. Der Wahlkampf zur Wiener Landtagswahl befand sich in der Schlussphase. Alle Meinungsumfragen sagten Verluste der Sozialisten und Gewinne der Freiheitlichen voraus. In dieser Situation versuchte Michael Häupl den Abwärtstrend seiner Partei mit einem, wie er offensichtlich glaubte, genialen Wahlkampfcoup das Steuer noch herumzureißen, zumindest aber die Verluste in Grenzen zu halten: Er sicherte sich die Unterstützung der „Krone“, die seit Wochen eine Kampagne für ein Berufsheer führt und forderte die Abschaffung der Wehrpflicht und eine Volksbefragung dazu. Offensichtlich sah er sich bereits in den Schuhen Bruno Kreiskys, der seinerzeit u. a. mit dem Versprechen „sechs Monate sind genug“, punkten konnte. Doch die Schuhe des „Sonnenkönigs“ sind Wiens „Oberfiaker“ bei weitem zu groß. Häupls Stern befindet sich im Sinkflug, seine und die seiner SPÖ Akzeptanz in der Wiener Bevölkerung ist stark geschrumpft und Straches FPÖ pocht bereits an die Türen des Rathauses. Gleichzeitig zeigte Häupl neuerlich, dass er nach wie vor eine dominante Rolle in der SPÖ spielt: Innerhalb eines Tages schwenkte die Partei, die bisher einhellig für die Beibehaltung des Grundwehrdienstes war, um.
Bundeskanzler und Parteichef Werner Faymann unterstützte die Idee einer Volksbefragung, Klubchef Josef Cap erklärte, dass er immer schon für ein Berufsheer war.
Und Verteidigungsminister Norbert Darabos, bekam nun die unangenehme Aufgabe zugeteilt, den plötzlichen Richtungswechsel der Bevölkerung zu erklären und auch umzusetzen.
Die ÖVP wurde von der Kehrtwende der SPÖ in Sachen Wehrpflicht auf dem falschen Fuß erwischt, hatte sie doch immer Sympathien für ein Berufsheer gehegt.
So war 1997 deren damaliger Klubobmann Andreas Khol für das Abschaffen der allgemeinen Wehrpflicht eingetreten und 1999 wollte dann auch Parteiobmann Wolfgang Schüssel – übrigens in einem Interview mit der „Kronen Zeitung“ – die Landesverteidigung im europäischen Gleichschritt „Profis überantworten“. Schüssel, seit Anfang 2000 Bundeskanzler einer schwarz-blauen Koalition machte aus seiner Vorliebe für einen NATO-Beitritt Österreichs kein Hehl und befand sich dabei in voller Übereinstimmung mit Jörg Haider. Beide waren bereit, die bescheidenen Reste der Neutralität über Bord zu werfen und Österreich der zum Interventions- und Aggressionsbündnis gewordenen Nato auszuliefern. Dafür eignet sich ein Berufsheer wesentlich besser. Die Anschaffung der Abfangjäger vom Typ Eurofighter war bereits eine Vorleistung im Hinblick auf den geplanten Nato-Beitritt, da diese Flugzeuge für die Landesverteidigung Österreichs eindeutig überqualifiziert sind.
Nach dem US-geführten Angriff auf Afghanistan im Herbst 2001, den die Mitgliedsstaaten der NATO unterstützen mussten, da US-Präsident George W.Bush den „Bündnisfall“ behauptet hatte, noch mehr aber nach dem Überfall auf den Irak, der unter dem erfunden Vorwand, Saddam Hussein verfüge über Massenvernichtungswaffen, durchgeführt wurde, sahen die beiden kriegerischen Herren offensichtlich keine Chance mehr, den Österreichern den NATO-Beitritt schmackhaft zu machen. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
Die NATO, die in der Zeit des Kalten Krieges von den Menschen im westlichen Europa mit Recht als Schutz vor der kommunistischen Bedrohung empfunden wurde, hatte von allem Anfang an mehrere Aufgaben, vor allem in Europa, die Lord Ismay, der erste NATO-Generalsekretär folgendermaßen definierte: Sie sollte die Russen draußen, die Amerikaner drinnen (in Europa) und die Deutschen unten halten. Und sie diente als verlängerter militärischer Arm der US-Amerikaner.
Nach dem Zerfall des Warschauer Paktes, das heißt nach dem Wegfall der unmittelbaren kommunistischen Bedrohung, entwickelte sich die Nato zu einem Interventions- und Aggressionsbündnis. Während die um die neuen Länder vergrößerte Bundesrepublik nach wie vor von US-Truppen besetzt ist, die allerdings jetzt „Verbündete“ heißen, stehen deutsche Soldaten als Fremdenlegionäre der US-Amerikaner in Afghanistan und kämpfen gegen Menschen, mit denen Deutschland nie die geringsten Probleme hatte.
Die Nato-Option ist für Österreichs Schwarze noch nicht vom Tisch. Auch nicht ihr Eintreten für ein Berufsheer, auch wenn sie derzeit, eher aus parteipolitischen Gründen gegenüber der SPÖ, die Wehrpflicht verteidigen, wie vor allem Parteichef Josef Pröll. Außenminister Spindelegger dagegen plädiert für eine Diskussion „ohne Tabus“ und Innenministerin Maria Fekter will vor allfälliger Positionierung noch zuwarten. Ex-Wirtschaftminister Martin Bartenstein vertritt ohne wenn und aber die alte – und vielleicht wieder neue – Linie der ÖVP. Für ihn ist die Abschaffung der Wehrpflicht „ein Gebot der Stunde“.
Tatsächlich ist für eine in ein großes Verteidigungsbündnis integrierte Armee ein Berufsheer, dessen Soldaten jederzeit und überall einsatzfähig sind, vorteilhafter, noch dazu, wo sich eine Aufgabenteilung, also eine Spezialisierung der einzelnen Armeen anbietet und nicht jeder Staat alle militärischen Bereiche abdecken muss, somit auch – ohne Berücksichtigung der damit verbundenen Auslandseinsätze - kostengünstiger sein kann.
Ein souveräner neutraler Staat dagegen braucht die Wehrpflicht.
Die Abschaffung der Wehrpflicht bedeutet nicht zwangsläufig die Vorstufe zu einem NATO-Beitritt, sie würde ihn aber erleichtern und ist schon deshalb, von anderen Gründen ganz abgesehen, abzulehnen.