In Afghanistan nichts Neues...

Am 20. September 2011 wurde Burhanuddin Rabb?ni durch einen Selbstmordattentäter in seiner Wohnung im abgeriegelten Diplomatenviertel von Kabul getötet. Nach Angaben der BBC traf er sich mit zwei Taliban-Vertretern, um Friedensverhandlungen zu führen. Einem Taliban-Sprecher zufolge zündete einer der beiden Vertreter, die sich häufig mit Rabbani trafen und deshalb sein Vertrauen genossen, eine im Turban versteckte Bombe. Neben Rabb?ni und den zwei Taliban starben auch vier Sicherheitskräfte. Mit ihm erlitt eine der interessantesten und schillerndsten Persönlichkeiten seines Landes ein „afghanisches Schicksal“.

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Prof. Rabbani 1989 im Gespräch mit dem Autor. Die sowjetischen Soldaten waren bereits abgezogen und Rabbani stand vor seinem größten Erfolg.

Seit 1968 war der hochgebildete Mann, zweifacher Akademiker und Universitätsprofessor, politisch tätig. 1972 wurde er Vorsitzender der Dschamiat-i-Islami.
1974 sollte er wegen seiner pro-islamischen Einstellungen verhaftet werden, konnte jedoch mit Hilfe seiner Studenten vor der Polizei entkommen und nach Pakistan fliehen. Nach 1978 gehörte seine Gruppe zur sogenannten „Siebenerallianz“ und war im zehnjährigen Kampf gegen die sowjetischen Truppen und die kommunistische Regierung. eine der erfolgreichsten Widerstandsgruppen. Allerdings war der von den USA unterstützte „Freiheitskrieg“ zum Teil auch ein Bürgerkrieg. Sogar innerhalb der sogenannten „Siebenerallianz“ gab es nicht nur die normalen Eifersüchteleien, sondern auch kurzfristige Verbindungen zwischen Mudschaheddin-Gruppen und Kommunisten. Eine besonders zwielichtige Rolle spielte dabei Gulbuddin Hekmatyar, Außenminister der Interimsregierung. So griffen, um nur ein Beispiel zu nennen, am 9. Juli 1989 seine Kämpfer in einer engen Schlucht 32 Mudschaheddin der Dschamiat-i--Islami des Prof. Rabbani an. Fünf wurden gleich getötet, die anderen gefangengenommen und erst einen Tag später, nach – wie allgemein vermutet wurde – Rücksprache mit Hekmatyar, erschossen. Nur 18 Leichen wurden gefunden – alle verstümmelt! Nasen und Ohren waren abgeschnitten. Professor Mojaddedi, zu diesem Zeitpunkt Präsident der Interimsregierung des afghanischen Widerstandes, soll erst nach massiver Intervention der pakistanischen Regierung, die eine Zersplitterung der Allianz vermeiden wollte, darauf verzichtet haben, Hekmatyar aus der Regierung zu entlassen. Im Gegenzug nahm aber Ahmed Schah Massud, der „Löwe vom Pandschir-Tal“ und bedeutendster Kampfkommandant der Rabani-Partei, zu dessen unmittelbaren Gefolgsleuten die Ermordeten gezählt hatten, knapp sechs Wochen später 300 Mudschaheddin Hekmatyars gefangen. Unter diesen soll sich auch jener Kommandant befunden haben, der für die Morde die unmittelbare Verantwortung trug. Hekmatyar trat wenig später als Außenminister der Interimsregierung zurück.
Eine andere dubiose Figur im afghanischen Trauerspiel war der Usbekengeneral Dostum, der erst zu der Widerstandsgruppe stieß, als der Kriegsausgang schon feststand. Ein Problem besonderer Art bildeten schon damals die arabischen Freiwilligen. Über ihre Grausamkeit und ihren Fanatismus wurden die wildesten Geschichten erzählt. So sollen sie im November 1988 70 Kriegsgefangene ermordet haben, wobei immer wieder – vor allem von einfachen Mudschaheddin - behauptet wurde, sie hätten ihren Opfern die Kehlen durchgeschnitten.
Die Interimsregierung dementierte. Prof. Rabbani bezweifelte die Zahl siebzig und hielt nicht einmal eine Beteiligung der Araber an dem Massaker für erwiesen und Präsident Mojaddedi stellte den Arabern ein gutes Zeugnis aus und lobte ihren Einsatz für die gemeinsame islamische Sache.
Trotzdem wagte es Toran Sidik, der Kommandant, der mich im Sommer 1989 in Afghanistan betreute, nicht, mich bis in den unmittelbaren Frontbereich mitzunehmen, da er dort eine Abteilung fanatisierter Araber wusste. Erst als er den ausdrücklichen Befehl Modschaddedis erhielt, mir alles, was ich zu sehen wünschte, zu zeigen, brachte er mich schließlich an die Front. Aber er blieb sichtlich bemüht, die Stellungen der Araber in großem Abstand zu umgehen.
Bis 1992 konnten sich die Kommunisten an der Macht halten, obwohl die sowjetischen Truppen bereits 1989 geschlagen das Land verlassen hatten. Im April 1992 kehrte Rabbani von Peshawar in Pakistan nach Kabul zurück und übernahm am 28. Juni 1992 nach dem Rücktritt des Übergangspräsidenten Sibghatullah Modschaddedi den Vorsitz im Islamischen Rat von Afghanistan, der von den Mudschaheddin geführten Übergangsregierung. Während zwischen den rivalisierenden Mudschaheddin-Parteien ein neuer Bürgerkrieg entbrannte, wurde er am 30. Dezember 1992 von einer Wahlversammlung für zwei Jahre zum Präsidenten gewählt. Unter seiner Führung wurde der Islamische Staat Afghanistan ausgerufen. Nach einer Absprache mit anderen Mudschaheddin-Gruppen sollte er 1994 zurücktreten, was er aber nicht tat. 1996 eroberten die Taliban mit starker pakistanischer Unterstützung Kabul, holten Nadschibullah aus der UN-Vertretung, in die er nach seinem Sturz geflohen war, schlugen ihn und seinen Bruder brutal zusammen, kastrierten ihn und hängten ihn auf. Im September 1996 floh Rabbani in den Norden des Landes und machte die Stadt Faizabad zum Zentrum seines Widerstandes gegen die Taliban.
Nur mehr Ahmed Scheich Massud, der „geniale Stratege“, wie er von seinen ehemaligen Gegnern, den sowjetischen Generalen Ruzkoy und Lebed eingeschätzt wurde, ein Tadschike aus der Partei Rabanis leistete gemeinsam mit Usbeken Dostum und Teilen der Paschtunen gegen die Taliban Widerstand. 1997 ermordete Dostum 3.000 Gefangene, wurde 1998 von den Taliban besiegt und ging ins Exil. Scheich Masud allein hielt mit seinen Getreuen ein kleines Gebiet.
Im Juni 1997 gründete Rabbani gemeinsam mit einigen anderen die „Nationale Islamische Vereinigte Front zur Rettung Afghanistans“ , in den westlichen Medien besser bekannt als Nordallianz, die von den Vereinten Nationen weiterhin als Regierung des Landes anerkannt wurde. Rabb?ni blieb so der international anerkannte Präsident Afghanistans, auch wenn die Taliban den größten Teil des Landes kontrollierten.
Am 9. September 2001 fiel Ahmed Scheich Massud, militärischer Kommandant der Partei Rabbanis, einem Sprengstoffanschlag, ausgeführt von zwei arabischen Selbstmordattentätern, zum Opfer. Nur zwei Tage später, am 11. September, erfolgten die Anschläge auf das World Trade Center in New York und George Bush führte sein Land und die NATO in einen Krieg, der nicht zu gewinnen ist.
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes kehrte Rabbani am 17. November 2001 nach Kabul zurück und übergab nur fünf Tage später das Präsidentenamt an den US-Lakai Hamid Karzai. Seitdem stand er zwar immer noch der Gruppierung Dschamiat-i Isl?mi vor, besaß jedoch keinen größeren Einfluss.
Zuletzt war er Vorsitzender des Hohen Friedensrats, der im Auftrag der afghanischen Regierung mit den Taliban verhandeln sollte. Tatsächlich handelt es sich seit dem völkerrechtswidrigen US-Überfall auf Afghanistan um eine Fortsetzung des afghanischen Bürgerkrieges mit wechselnden Beteiligten, wobei von beiden Seiten mit äußerster Härte und Brutalität gekämpft wird und Kriegs- und Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind. Fest steht aber, dass die Taliban sich weit korrekter als ihre Gegner verhalten und dementsprechend über mehr Rückhalt in der Bevölkerung verfügen. Prof. Rabbani war ein überzeugter Gegner der Taliban und nach übereinstimmender Einschätzung von Afghanistan-Kennern einer der anständigeren Führungspersönlichkeiten der Anti-Taliban-Front. Zehn Jahre nach der Ermordung seines Militärkommandanten Ahmed Schah Massuds hat auch ihn, den letzten „vortalibanischen“ Präsidenten Afghanistans, sein Schicksal ereilt.
Der westlichen Presse war sein Tod nur einige Zeilen wert.