Jetzt steht es fest: Imam Mussa as-Sadr von Gaddafi ermordet!

Am 10. November d. J. bestätigte der in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) ansässige TV-Sender „Al-Aan“ ein Gerücht, das von der überwältigenden Mehrheit der libanesischen Schiiten von allem Anfang an als feststehende Tatsache betrachtet wurde: Imam Mussa as Sadr, der charismatische Gründer der Amal-Bewegung, war nach einem Gespräch mit Muammar al-Gaddafi in Libyen ermordet worden. Hatte bereits im März dieses Jahres der damals zurückgetretene Chefdelegierte Libyens bei der Arabischen Liga in Kairo, Abdulmoneim al-Honi in einem Interview die Ermordung Mussa as-Sadrs bestätigt, so scheinen nunmehr auch die letzten Zweifel darüber beseitigt worden zu sein.
Ahmed Ramadan, dereinst eine der einflussreichsten Persönlichkeiten in der Umgebung Gaddafis, berichtete „Al-Aan“, Muammar al Gaddafi habe den hohen libanesischen Schiiten-Geistlichen im August 1978 „liquidieren“ lassen, nachdem er mit ihm in seinem Büro ein zweieinhalbstündiges Gespräch geführt hatte. Nachher habe Gaddafi befohlen: „Bringt ihn weg!“ Die Leiche Mussa as-Sadrs sei entweder in Janzour oder in Sebha beerdigt worden, sagte Ramadan, während Abdulmoneim al-Honi behauptete, der Gründer der libanesischen schiitischen Amal-Bewegung sei in der südlichen Region Sebha begraben worden. Gaddafis persönlicher Pilot, der die Leiche nach Sebha zu fliegen hatte, sei kurz danach liquidiert worden.- Gaddafi leugnete bis zuletzt die Ermordung Mussa as-Sadrs, der, so wird kolportiert, jahrelang für die Schiiten im Libanon Unterstützung aus Libyen bezogen habe. Im libanesischen Bürgerkrieg haben sich die Schiiten aber auf die Seite der christlichen Maroniten geschlagen und dies sei von den libyschen Geldgebern als Verrat an der muslimischen Sache betrachtet worden.

Ali Hamdan, der Leiter des Außenpolitischen Amtes der Amal: "Schon Imam Musa as-Sadr setzte uns als Ziel die Befreiung Jerusalems. Israel ist nicht stärker als die USA. Und wir nicht schwächer als die Vietnamesen. Wenn wir keine anderen Waffen haben, dann kämpfen wir eben mit Nägeln und Zähnen. Das Wichtigste ist, dass wir die psychologische Mauer durchbrechen."

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Tatsächlich bestanden zwischen dem schiitischen Imam und dem melkitischen Erzbischof von Beirut, Gregoire Haddad ausgezeichnete Verbindungen.. Gemeinsam hatten sie 1960 die „Soziale Bewegung“ gegründet und in den folgenden Jahren den christlich-islamischen Dialog gefördert. Diese enge Zusammenarbeit stieß im Vatikan auf Missbilligung, insbesondere, dass Musa as-Sadr zu Ostern in einer Kirche des Kapuzinerordens eine Ansprache halten durfte. Zudem hatte Gregoire Haddad seine Theorie über eine Annäherung zwischen Sozialismus und Kirche veröffentlicht. Auf Druck des Vatikans bot der Bischof seinen Rücktritt an, dem Papst PaulVI. bei gleichzeitiger Ernennung zum Titularbischof von Adana dei Greco-Melkiti zustimmte. Der Bischof zog sich daraufhin in ein Kloster zurück, von wo aus er bis zu seinem Tod weiterhin soziale Bewegungen im Libanon unterstützte. Angesichts dieser historischen Entwicklung ist es verständlich, dass auch heutzutage die beiden schiitischen Parteien von der größten christlichen Partei des ehemaligen Generals Michel Aoun unterstützt werden. Auf der anderen Seite klingt es nur logisch, wenn Ali Hamdan, der Leiter des Außenpolitischen Amtes der Amal, in dessen Büro neben dem Bild seines Parteichefs, des Parlamentspräsidenten Nabih Berri, auch Bilder Musa as-Sadrs hängen, behauptet, der Grund, warum die palästinensischen Flüchtlinge im Libanon nicht die libanesische Staatsbürgerschaft bekommen würden, sei die Angst der Christen vor einem weiteren massiven Zuwachs islamischer Libanesen. Aber auch den Schiiten dürfte eine Stärkung des sunnitischen Elements nicht unbedingt willkommen sein.
2003 hatte Gaddafi die diplomatischen Beziehungen zum Libanon, dem er die Fähigkeit absprach, „ein unabhängiger Staat zu sein“. abgebrochen. Im Jahre 2008 war in Beirut Haftbefehl gegen den libyschen Machthaber, der zu diesem Zeitpunkt formal nicht mehr Staatsoberhaupt war, erlassen worden. Mit Mussa as-Sadrs Tod ist wohl der Erwecker des schiitischen Selbstbewusstseins gestorben, nicht aber das Selbstbewusstsein selbst. Heute wird der Libanon von den schiitischen Parteien Hisbollah und Amal dominiert, wobei die Kämpfer der Hisbollah als bisher einzige arabische Truppe von der israelischen Armee nicht bezwungen werden konnten. Die Hisbollah hatte nach Gaddafis Tod dem libyschen Volk zu seinem „immensen Sieg“ nach einem „langen und verlustreichen Kampf gegen die Tyrannei“ gratuliert. Mussa as-Sadr ist gerächt, für die libanesischen Schiiten zweifellos ein Grund zur Freude. Das ändert aber nicht das Geringste an der Tatsache, dass die NATO-Staaten einen neokolonialistischen Angriffskrieg gegen Libyen geführt hatten.
Dr. Herbert Fritz