Ohne seine selbstbewusste Kaufmannschaft hätte Münster heute keine malerische Innenstadt. Als Münster nach dem Zweiten Weltkrieg in Trümmern lag, wehrtensich die Kaufleute gegen Pläne, das Zentrum vermeintlich zeitgemäß neu zu gestalten. Ihre mittelalterlichen Giebelhäuser am Prinzipalmarkt bauten sie wieder auf, und selbst die Wiedererrichtung des Rathauses finanzierten sie, indem sie eine große öffentliche Lotterie veranstalteten. Wie in jedem Jahr findet im Festsaal des Rathauses an diesem Freitag das Kramermahl des nun schon 175 Jahre alten „Vereins der Kaufmannschaft zu Münster“ statt. Wie bei der (allerdings viel älteren) Schaffer-Mahlzeit in Bremen laden sich auch die Münsteraner Kaufleute einen Ehrengast ein. Wolfgang Schäuble sprach ebenso schon zu ihnen wie Peer Steinbrück oder der frühere Bahn-Chef Hartmut Mehdorn. In diesem Jahr kommt Rene Obermann von der Telekom.
Das Kramermahl folgt einem strikten Ablauf und steht unter dem Motto der Münsteraner Hanse „Ehre ist Zwang genug“. Hugo Fiege, der dem „Verein der Kaufmannschaft zu Münster“ vorsitzt, findet diesen Anspruch hochaktuell. Seit Jahrhunderten habe man sich im Münsterland daran gehalten. Fiege will deshalb an diesem Freitag in seiner kurzen Ansprache einen Kontrapunkt zu Managern setzen, die nur auf ihren Bonus fixiert sind. Im Anschluss an die Rede des Ehrengastes in der Bürgerhalle des Rathauses ziehen die etwa 400 Teilnehmer in den Festsaal zum westfälisch-bescheidenen Menü. Nach der Vorspeise (Pumpernickel mit Schinken) ertönt der Ruf: „Es lebe das deutsche Vaterland!“ Nach der Hauptspeise (Grünkohl mit Mettwurst) tauschen der Vereinsvorsitzende und der Oberbürgermeister einen Ehrentrunk aus. Zur Nachspeise gibt es – statt wie früher „Alten Holländer Käse“ – der Bekömmlichkeit wegen Stippmilch (eine Milchspeise mit Pumpernickel). Zum Abschluss raucht die Gesellschaft die Kramermahl-Tonpfeifen. Dass jeder Kaufmann seit 1977 seine eigene Pfeife besitzt, dürfte sich auch in dieser Grippe-Saison wieder bewähren. Die Feier endet mitdem Ruf: „Es lebe unsere gute alte Stadt Münster!“
Ein Lebenszeichen des anderen, besseren Deutschlands, veröffentlicht in der FAZ, vom 5. Februar 2010